Um die Volkskrankheit Rückenschmerz ranken sich viele Märchen. Was es mit diesen Annahmen auf sich hat, erklärt Professor Dr. Dr. Nikolai Rainov. Er ist Facharzt für Neurochirurgie und spezielle Schmerztherapie am MVZ Wirbelsäulenzentrum München/Taufkirchen.
Irrtum 1: Bei Beschwerden im Kreuz gilt es sich zu schonen
„Falsch! Bei Rückenschmerzen hilft in erster Linie Bewegung, da sich auf diese Weise Verspannungen meist wieder von selbst lösen. Wer die eigene Muskulatur zusätzlich durch Dehn- und Bodenübungen trainiert, stärkt und entlastet den Rücken. Um Fehlhaltungen zu vermeiden, sollten die Übungen Rücken- und Bauchmuskeln immer gleichermaßen beanspruchen. Auch Aktivitäten wie Schwimmen und entspanntes Spazieren auf ebenem Untergrund eignen sich als leichtes Rückentraining.“
Irrtum 2: Meistens ist es ein Bandscheibenvorfall
„Kommt es zu Schmerzen im unteren Rücken, vermuten viele Betroffene und auch Mediziner zunächst einen Bandscheibenvorfall. Doch häufig löst in Wahrheit das Iliosakralgelenk, kurz ISG, die Beschwerden aus. Es befindet sich zwischen dem Kreuz- und Darmbein und verursacht bei einer Blockade ähnliche Symptome wie ein Bandscheibenvorfall. Damit es nicht zu einer Fehldiagnose kommt, empfiehlt sich eine gründliche Untersuchung durch Fachärzte. Diese ermitteln mithilfe sogenannter Provokationstests und Infiltrationstherapien, ob das ISG die Probleme hervorruft.“
Irrtum 3: Nur eine Operation kann wirklich helfen
„Zur Linderung von Rückenschmerzen helfen meist schon Wärmebehandlungen, Physiotherapie und Akupunktur. In der Regel kommt es erst zu einer Operation, wenn konservative Maßnahmen nicht den gewünschten Erfolg bringen. Führen sie beispielsweise bei einer Blockade des Iliosakralgelenks nicht zu einer deutlichen Schmerzreduzierung, stabilisieren Fachärzte das Gelenk während eines minimalinvasiven Eingriffs mithilfe von kleinen „iFuse-Implantaten.“ Diese verwachsen dank ihrer porösen Oberflächenbeschaffenheit stabil mit dem umliegenden Knochen. So bekommt das Gelenk wieder mehr Halt und die Schmerzen lassen nach.“
Irrtum 4: Rückenprobleme sind altersbedingt
„Schmerzen im Kreuz haben verschiedenste Ursachen und können bei jedem Menschen auftreten. Lendenwirbel blockieren beispielsweise häufig, wenn die umliegenden Muskeln überlastet sind – unabhängig vom Alter der Person. ISG-Blockaden entstehen unter anderem oft bei schwangeren Frauen, da sich das Bindegewebe im Becken als Vorbereitung auf die Geburt lockert und das Gelenk deshalb an Halt verliert. Ebenso neigen Golfer aufgrund ruckartiger Drehungen und Fußballer aufgrund plötzlicher Abstopp-Bwegungen zu einem ISG-Syndrom. Zur Risikogruppe zählen demnach nicht nur alte Menschen.“
Irrtum 5: Gerades Sitzen beugt Rückenbeschwerden vor
„Wer eine aufrechte Haltung auf dem Stuhl einnimmt, belastet die Wirbelsäule gleichmäßig und beansprucht auch die Muskulatur einheitlich. Doch selbst die beste Sitzposition schützt nicht automatisch vor Schmerzen. Sehr langes Sitzen – egal ob gerade oder schief – führt zur einseitigen Belastung, die dem Rücken schadet. Um Beschwerden zu vermeiden, sollten Betroffene zwischendurch eine entspannte Haltung einnehmen und die Position öfter wechseln. Idealerweise werden kleine Bewegungspausen gemacht.“