Schöne Reviere für einen Hausboot-Urlaub:

Briccola, ahoi! Mit dem Hausboot unterwegs

von Redaktion

Wer Venedig auf dem Wasserweg erkundet, umschifft die typischen Besuchermassen. Selbst fußläufig zum Markusplatz finden sich ruhige Liegeplätze. Leinen los zum Inselhopping mit der ganzen Familie…

Ich war kurz an Land gegangen, beim Panificio Ballarin fürs Frühstück Mini-Pizzen mit Oliven holen. Der Rest der Familie schlummert noch in den Tiefen unseres Bootes, der „Aquileia“. Ich mache die Leinen los, starte im Führerstand den Motor. Rasselnd unterbricht der Diesel die Ruhe des jungen ­Tages.

Längs hatten wir in Portosecco auf Pellestrina an der Kaimauer festgemacht. So benötige ich keine Hilfe von der restlichen Crew, die aus der Mutter und den beiden Söhnen besteht, die die Tage zuvor kräftig angepackt hatten: beim Seemannsknoten machen, beim Anker setzen, beim Navigieren. Jetzt nur den Gashebel umlegen und in die Fahrrinne gleiten. Backbord schießen die ersten Sonnenstrahlen über die Häuser, auf der Steuerbordseite liegt die Lagune von Venedig. Ein letzter Tag steht bevor, mit einem Landgang im Fischerdorf Pellestrina auf der Sandinsel, die die Lagune von der Adria trennt.

Crashkurs im Schippern

Der Hausboottrip durch die Lagune von Venedig beginnt vier Tage zuvor. Ausgeschifft wird in Chioggia, wie Venedig auf Holzpfählen errichtet. Als wir die „Aquileia“ am Anleger auf der Ponte Translagunare liegen sehen, erfüllt uns Respekt. „Dass man überhaupt mit so einem Klotz losgelassen wird“, so die Mutter. Aber man traut den Kunden genug Talent zu, solche Wasserfahrzeuge im Ausmaß großer Wohnmobile auch ohne Vorwissen zu steuern.

Die Lagune von Venedig zählt zu den Gewässern in Europa, in denen das Führen von Motorbooten auch ohne Bootsschein erlaubt ist. Voraussetzung ist nur eine kurze Einweisung.

Zouhair vom Hausbooturlaub-­Anbieter gibt uns eine Art Crash-Fahrstunde. Einmal Richtung der Hafenmündung Bocca di Porto schippern, dann wieder zurück und allein mit Steuerrad und Schubkraft nach hinten wieder einparken. „Ich zeige das immer ohne Bugstrahlruder“, sagt Zouhair. Ohne die Rangierhilfe lerne man besser. Auf der Gewässerkarte kreisen wir Portosecco als Liegeplatz für die Nacht ein. So weit sollten wir kommen, um es auf dem Rundtrip bis nach Burano zu schaffen, wo laut der Zeitschrift „AD“ einige der „schönsten Straßen der Welt“ warten.

Untiefen im
Welterbe

Murano, Giudecca, Torcello oder Sant‘Erasmo heißen bekanntere Inseln in Venetien. Das Flachgewässer, mit 550 Quadratkilometern ungefähr so groß wie der Bodensee, ist zusammen mit Venedig seit 1987 Unesco-Weltkulturerbe. Sechs bis sieben Stunden reine Fahrtzeit bei gemütlichem Hausboottempo müsste man von Chioggia im Süden bis Jesolo im Norden einplanen. Theoretisch, denn Venedig wollen wir natürlich nicht links liegen lassen.

Pellestrina, Vignole, Francesco del Deserto, Mazzorbo, Burano, Sant‘Elena und Venedig wollen wir sehen. Im Canale di Malamocco tuckern wir entlang der hölzernen Markierungen der Wasserwege, die man ernst nehmen sollte. Jenseits dieser Briccole genannten Pfähle drohen Untiefen. Schon manches Hausboot saß fest.

Vor der Isola Poveglia setzen wir den Anker. Die Schiffsschraube hat den Boden aufgewirbelt, gut einen Meter ermittele ich mit dem 10-jährigen Sohn per Lot die Tiefe. Das Boot hat einen Tiefgang von 0,85 Metern. Passt gerade so – auch für Sprünge vom Heck ins grünliche Wasser der Lagune, obwohl dort kleine aber harmlose Quallen treiben.

Das Baden vor der Kulisse Venedigs, das sich im Dunst mit glitzernden Kuppelbauten abzeichnet, hat seine Reize. Auch parkende Kreuzfahrtschiffe am Industriehafen von Marghera sehen wir. Seit Sommer 2021 dürfen die schwimmenden Städte nicht mehr im historischen Zentrum Venedigs anlegen.

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Mit dem Hausboot haben wir bessere Karten. Die Insel Venedig darf man als Freizeitkapitän umschiffen. Die ins Innere der Altstadt führenden Kanäle, auch der Canal Grande, sind tabu. Im Markusbecken ist schon genug los. Die berühmten Vaporetti schießen einem knatternd durch die Fahrlinie. Das Wasser ist in ständigem Aufruhr, der Blick auf den Dogenpalast aus Bootsperspektive dafür umso erhebender.

Winkend kommt uns Carlo mit einem kleinen Boot entgegen, als wir die Marina Diporto Velico Veneziano ansteuern. Sie liegt auf der kleinen Insel Sant‘Elena, die über Brücken an die Biennale-Gärten angebunden ist. „20 Minuten lauft ihr zum Markusplatz“, sagt der Hafenmeister, als er für Liegeplatz, Landstrom und Badnutzung 58 Euro für die Nacht kassiert.

Den Besuchermassen entkommen

Es vergehen anderthalb Stunden, bis wir im immer dichten Menschengewirr durchs Gassenlabyrinth den Markusplatz erreichen. Dafür ist die Nacht auf unserer ‚Aquileia‘ umso ruhiger, und erst beim Auslaufen die ganze Crew wieder gefragt. Die Söhne holen die Fender rein, die Mutter hält Ausschau, dass der an Steuerrad und Gashebel hantierende Vater nicht zu nah an die Boote manövriert. Carlo, der angesichts des unroutinierten Schauspiels an Land staunt, kann sich ein „Mamma Mia!“ nicht verkneifen.

Der Reiz einer Hausboottour durch die Lagune von Venedig liegt darin, dass man antizyklisch zu den Besuchermassen selbst vom Overtourism heimgesuchte Orte in relativer Ruhe erleben kann. So kehren wir auf Burano von den weltschönsten Straßenzügen mit ihren kunterbunten Fischerhäuschen an von Steinbogenbrücken überspannten Kanälen an Bord zurück, als am Anleger ein langer Dampfer stoppt, der die kleine Insel mit einer Besucherschwemme überzieht. Wir legen ab.

So selbstbestimmt unterwegs – ohne auf die Fahrtzeiten von Vaporetti oder Fähren achten zu müssen – kann man sogar authentische Einblicke gewinnen: Für die letzte Nacht werfen wir die Leinen an der Kaimauer von Portosecco aus. Das Fest „Sagra die Santo Stefano“ sei einen Besuch wert, hatte uns ein Restaurantbesitzer beim ersten Halt gesagt. Voll ist es zwar auch auf dem Dorfplatz, und die Band um Lokalmatador Renzo Biondi liefert eine Schlagermischung mit Beats und Akkordeon. Betagte Pärchen fetzen in Pirouetten über den Platz, wir tanzen mit.

Es ist herrlich, mal ganz individuell rund um Venedig unterwegs zu sein – unserem Hausbooturlaub sei dank. Stefan Weißenborn/dpa

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