Fachkräftemangel: Es braucht tief greifende Veränderungen

von Redaktion

Interview mit der IHK für München und Oberbayern

Bayern steuert auf eine massive Lücke am Arbeitsmarkt zu: Bereits heute fehlen laut IHK-Arbeitsmarktradar rund 160000 Beschäftigte, bis 2028 könnten es über 220000 werden. Besonders betroffen sind Berufe, die eine abgeschlossene Berufsausbildung erfordern sowie Branchen wie Handel, Kinderbetreuung, IT, Lagerlogistik und Pflege. Warum die Lage so ernst ist, welche Trends sie zusätzlich verschärfen und was Betriebe jetzt konkret tun können, erklärt Elfriede Kerschl, Leiterin Referat Fachkräftesicherung und Arbeitsmigration, IHK für München und Oberbayern im Gespräch.

.In welchen Bereichen ist der Fachkräfte mangel in Bayern besonders spürbar? In welchen Bereich sind wir hierzulande noch gut mit Fachkräften aufgestellt?

Laut dem IHK-Arbeitsmarktradar fehlen in Bayern derzeit rund 160000 Arbeitskräfte. Bis 2028 könnte sich diese Zahl – trotz hoher Zuwanderung und steigender Erwerbsbeteiligung – auf über 220000 erhöhen. Hauptursache dafür ist die rasche Alterung der Gesellschaft. Jährlich gehen deutlich mehr Menschen in den Ruhestand, als junge Erwerbstätige in den Arbeitsmarkt nachrücken. Dieser Engpass bremst bereits heute unser Wirtschaftswachstum – der jährliche volkswirtschaftliche Schaden in Bayern beträgt rund 20 Milliarden Euro.

Am stärksten fehlen dabei Beschäftigte auf dem Qualifikationsniveau „Fachkraft“. Das sind zum Beispiel Absolventen einer dualen Berufsausbildung. Hier wird die Lücke 2028 voraussichtlich 120000 Personen betragen. Im Bereich der Spezialisten, hierbei handelt es sich beispielsweise um Meister, Fachwirte oder Bachelor-Absolventen, werden voraussichtlich 36000 Fachkräfte fehlen und bei den Experten, zum Beispiel Master oder Absolventen mit einem Staatsexamen, sind es 48000 Personen. Auch im Bereich der sogenannten Helfer, das sind Menschen ohne eine formale Qualifikation, ergibt sich 2028 eine Lücke von 16000 Personen.

Mit Blick auf die Berufsgruppen wird die Lücke bei den Verkäufern am größten sein, gefolgt von Kinderbetreuung, Informatik, Lagerwirtschaft und Pflege. Das sind alles Bereiche, die schon heute stark unter einem Mangel leiden. Gleichzeitig erwarten wir einen Beschäftigungsaufbau insbesondere in der IT, im Gesundheitswesen und in der öffentlichen Verwaltung.

Welche aktuellen Tendenzen befördern den Fachkräftemangel zusätzlich? Wie stufen Sie hierbei die Digitalisierung sowie die Entwicklung von KI ein – verstärken sie den Fachkräftemangel oder entspannen sie ihn?

Neben der Verrentung der geburtenstarken Jahrgänge wirken auch gesellschaftliche Trends verstärkend. Ein Beispiel dafür ist die „Rente mit 63“. Dieses Angebot wird stark genutzt. Auch die Teilzeitquote steigt weiter. Deutschlandweit arbeiten inzwischen vier von zehn Berufstätigen in Teilzeit. In Bayern dürfte diese Quote ähnlich hoch liegen. Debatten wie die um eine 4-Tage-Woche verschärfen die Situation zusätzlich.

Digitalisierung und KI wirken im Zusammenhang mit dem Fachkräftemangel ambivalent: Einerseits ersetzen technische Lösungen – etwa Selbstbedienungskassen im Handel – fehlende Arbeitskräfte. Andererseits braucht die Wirtschaft mehr digital kompetente Fachkräfte. Richtig eingesetzt können KI-Anwendungen, etwa in der Produktion durch eine smartere Maschinenauslastung, den Mangel jedoch spürbar abfedern.

Welche Wege sind erfolgreich, wie Betriebe gegen den Fachkräftemangel angehen können? Wie unterstützt die IHK hierbei?

Der Wettbewerb um gutes Personal zwingt Unternehmen, sich als attraktive Arbeitgeber zu positionieren und ihre Vorteile an potentielle Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter klar zu kommunizieren. Große Firmen haben hier aufgrund ihrer Bekanntheit oft ein leichteres Spiel, während kleinere und mittelständische Betriebe mit flacheren Hierarchien und mehr Mitgestaltungsmöglichkeiten punkten können. Das müssen sie aber auch offensiv nach außen darstellen.

Ebenso wichtig ist die Mitarbeiterbindung. Dazu gehört, ältere Beschäftigte weiterhin aktiv einzubinden und deren Verbleib im Unternehmen zu fördern. Auch bei Frauen – von denen in Bayern rund die Hälfte in Teilzeit arbeitet – braucht es stärkere Anreize für eine Erwerbstätigkeit möglichst nah an der Vollzeit.

Ganz wichtig ist in diesem Zusammenhang die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Ergänzend können Betriebe auch gezielt Fachkräfte im Ausland anwerben.

Zu all diesen Aspekten informiert die IHK für München und Oberbayern umfassend auf ihrer Website unter ihk-muenchen.de/ratgeber/fachkraefte/. Hinzu kommen regelmäßige Webinare und Veranstaltungen.

Und was müsste sich gesellschaftlich/politisch ändern, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken?

Unternehmen brauchen Rahmenbedingungen, die mehr Menschen in Arbeit bringen oder zur Erhöhung ihrer Arbeitszeit motivieren.

Dazu gehören steuerliche Anreize und bessere Betreuungsangebote für Kinder und Pflegebedürftige, eine längere Erwerbsbeteiligung älterer Menschen durch Anpassung des Renteneintrittsalters, die stärkere Förderung der Vollzeitarbeit bei Frauen, die konsequente Qualifizierung von Erwerbslosen und eine gezielte Zuwanderungspolitik. Das bedeutet letztendlich: Ohne tiefgreifende gesellschaftliche und politische Veränderungen wird sich der zunehmende Fachkräftemangel nicht bewältigen lassen.

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