Frankfurt – Es gibt einfachere Jobs in Europa und auch in Frankfurt. Wenn Christine Lagarde am 1. November ihr Büro im 40. Stock der Euro-Doppeltürme im Frankfurter Ostend bezieht, wartet eine schwierige Aufgabe auf die 63-jährige Französin. Ihr Vorgänger Mario Draghi hinterlasse einen Scherbenhaufen, sagen manche. Im 25-köpfigen EZB-Rat ist die Geldpolitik so umstritten wie nie zuvor.
Der ersten Frau an der Spitze der EZB muss es nun darum gehen, die schlechte Stimmung im Rat zu überwinden, die Draghi durch sein mitunter selbstherrliches Auftreten hinterlassen hat. Dass sie dies schaffen kann, hat Lagarde in den vergangenen Jahren als Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF) mit seinen 189 Mitgliedsländern gezeigt. Ihm hat sie neues Ansehen verschafft. Den hatte ihr Vorgänger Dominique Strauss-Kahn durch persönliche Verfehlungen schwer in Misskredit gebracht. Lagarde gilt als offen, verbindlich, vor allem auch als Teamspielerin. Im IWF war sie hochgeachtet. Ihr Verhältnis auch zu Bundesbank-Präsident Jens Weidmann, einem der schärfsten Kritiker Draghis, gilt als gut.
Der neuen Präsidentin sind erst einmal die Hände gebunden. Dafür hat ihr Vorgänger mit den von ihm gegen erheblichen Widerstand durchgesetzten Beschlüssen im September gesorgt. Der Einlagezins, den Banken der EZB bezahlen müssen, wurde von minus 0,4 auf minus 0,5 Prozent gedrückt. Wichtiger: Mit dem Amtsantritt von Lagarde kauft die Notenbank ab November wieder Anleihen der Eurostaaten – für 20 Milliarden Euro im Monat. Erst Ende 2018 war das Programm eingestellt worden. Damit soll die Kreditvergabe befördert und die Inflationsrate in Richtung der von der EZB angepeilten Marke von knapp zwei Prozent getrieben werden. Zuletzt lag sie bei 1,1 Prozent.
Mehrfach hat Lagarde allerdings betont, dass sie eine großzügige Geldpolitik vor dem Hintergrund der abgeflauten Konjunktur für angemessen hält. Sie liegt auf der Linie Draghis. Am 13. November wird Lagarde zum ersten Mal eine Ratssitzung leiten, aber erst am 12. Dezember ein Treffen, auf der geldpolitische Entscheidungen getroffen werden können.
Die neue Präsidentin wird sich sehr genau die Strategie und die Instrumente anschauen, mit der die EZB derzeit ihre Geldpolitik umsetzt. Eine Revision hat sie bereits angekündigt. Draghi hat unkonventionelle, umstrittene Maßnahmen umgesetzt, wie etwa das Anleihekaufprogramm. Die Notenbank bewegt sich damit, sagen Kritiker, an der Grenze zur verbotenen Staatsfinanzierung. Für manche hat sie diese bereits überschritten. Demnach hat Draghi das EZB-Mandat – die Wahrung von Preisstabilität – äußerst großzügig ausgelegt. Lagarde wird vermeiden wollen, dass es erneut zu Verfahren gegen die EZB vor dem Bundesverfassungsgericht und dem Europäischen Gerichtshof kommt. Besonders in Deutschland ist der Ruf der EZB ramponiert. Das weiß Lagarde. Sie wolle die Kommunikation der EZB verbessern. Und sogar Deutsch lernen.