München – Von über 160 Euro Anfang 2019 auf nur noch 3,60 Euro nach der Insolvenz-ankündigung am Donnerstag: Der Kursverlust der Wirecard-Aktie und damit der Schaden für die Anteilseigner des Unternehmens ist gewaltig. Nach der Pleite droht den Aktionären der Totalverlust. Und die Politik fürchtet um das Vertrauen in den Finanz- und Wirtschaftsstandort Deutschland. In den Fokus der Kritik gerät auch die Finanzaufsichtsbehörde Bafin.
Finanzstaatssekretär Jörg Kukies (SPD) sagte am Donnerstag: „Es muss alles schonungslos zur Diskussion gestellt werden. Es ist doch völlig klar, dass wir da Konsequenzen ziehen müssen.“ Aus der Linken kamen Forderungen nach personellen Konsequenzen bei der Bafin. Und FDP-Chef Christian Lindner sagte der „Neuen Osnabrücker Zeitung“, die Bafin sei „nicht mehr auf Augenhöhe mit den neuen Entwicklungen am Kapitalmarkt“. Die Behörde brauche personelle Verstärkung, es müsse aber auch aufgearbeitet werden, warum die Bafin nicht aus eigener Initiative eine vertiefte Prüfung der Vorgänge vorgenommen habe. Selbst der Chef der Bafin, Felix Hufeld, hatte am Montag eingestanden, seine Behörde sei „nicht effektiv genug gewesen, um zu verhindern, dass so etwas passiert“.
Über dieses Eingeständnis habe er sehr gestaunt, sagte Marc Tüngler, Hauptgeschäftsführer der Anlegervereinigung DSW, am Donnerstag gegenüber unserer Zeitung. „Da muss der politische Druck wohl sehr hoch gewesen sein“, sagte der Chef der größten deutschen Aktionärsvereinigung. Er selbst tritt da derzeit lieber noch ein wenig auf die Bremse. Die Schlussfolgerung, wenn ein Schaden solchen Ausmaßes entstanden sei, dann müsse die Aufsicht ja versagt haben, die wolle er nicht einfach so unterschreiben. „Hier hat in erster Linie das System bei Wirecard versagt.“ Betrug bleibe nun mal Betrug.
Man könne die Bafin bei der Gesamtwürdigung nicht außen vor lassen, so Tüngler weiter. Erst müsse aber der Sachverhalt aufgeklärt werden. „Ich sehe die Gefahr, dass wir hier aufgrund des öffentlichen Drucks das Kind mit dem Bade ausschütten. Wir sollten jetzt nicht vorschnell Aufsichtsregeln verschärfen, unter denen alle Unternehmen leiden, die anständig und transparent agieren“, sagte Tüngler.
Die bessere Ausstattung der Bafin sei politisch schon lange ein Thema, das bisher aber nie wirklich vorangekommen sei. Eine Rolle spiele dabei möglicherweise, dass die von der Bafin zu kontrollierenden Unternehmen die Behörde über eine Umlage mitfinanzieren. Ebenso gehe es vielleicht um die politische Frage, wie stark man eine einzelne Behörde machen wolle.
Die Bafin hat inzwischen weitreichende rechtliche Befugnisse, etwa um die Liquidität von Banken zu überprüfen, gegen Marktmanipulation vorzugehen oder Börsenunternehmen zu Transparenz zu zwingen. Ob sie die nötigen Ressourcen dafür hat, wird aber bezweifelt.
Ganz untätig war die Bafin in Sachen Wirecard nicht. Sie hatte gegen die zum Konzern gehörende Wirecard Bank schon im April 2019 ein Bußgeld von 1,5 Millionen Euro verhängt. Es ging um Versäumnisse bei der Veröffentlichung des Halbjahresberichtes 2018. Vor allem aber erregte die Behörde Aufsehen, weil sie 2019 Journalisten der „Financial Times“ ins Visier nahm, die immer wieder über Unstimmigkeiten in den Wirecard-Bilanzen berichtet hatten. Die Bafin wollte prüfen, ob die Journalisten an Marktmanipulationen beteiligt waren.
„Fragen muss man aber auch, was die Staatsanwaltschaften getan haben, ob die in der Lage sind, so ein Thema zu durchdringen“, sagte Tüngler. Neu sei das Thema Wirecard für die Strafverfolger sicher nicht. STEFAN REICH