Scherbengericht über Siemens Energy

von Redaktion

VON SEBASTIAN HÖLZLE

München – Der Ärger bei den Aktionären ist gewaltig: „Das war schlicht ein katastrophales Jahr für Siemens Energy und seine Aktionäre“, sagte gestern Daniela Bergdolt von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) auf der Online-Hauptversammlung des Münchner Energietechnikkonzerns Siemens Energy. „Der Aktienkurs gleicht einer Achterbahn und viele Aktionäre hat es hinausgeschleudert.“

Ingo Speich von Deka Investment sprach von einem „verlorenen Jahr“. Der Aktienkurs sei im Jahr 2023 um mehr als 30 Prozent eingebrochen, im Vergleich mit dem Dax sogar um minus 50 Prozent. „Mittlerweile haben die Investoren die Einstellung: Keine Nachrichten von Siemens Energy sind gute Nachrichten. So weit ist es schon gekommen.“

Arne Rautenberg von Union Investment sagte: „Kein anderes Unternehmen, das heute noch im Dax ist, bescherte den Anlegern seit 2008 so hohe Tagesverluste wie Siemens Energy im vergangenen Jahr.“ Hendrik Schmidt von DWS Investment bezeichnete das abgelaufene Geschäftsjahr, das bereits Ende September endete, als „enttäuschend“.

Um die Kritik zu verstehen, muss man die junge Geschichte von Siemens Energy seit seiner Ausgliederung aus dem Münchner Siemens-Konzern im Jahr 2020 kennen: Die Siemens AG hatte auch ihren Anteil am spanischen Windkraftunternehmen Siemens Gamesa an Energy überführt. Siemens Energy hielt rund zwei Drittel der Anteile an Gamesa.

Weil sich Siemens Gamesa als Problemkind entpuppte, sah der Siemens-Energy-Vorstand in einer Komplettübernahme die beste Lösung. Im Sommer des vergangenen Jahres folgte der Schock: Bei den Windrad-Typen 4.X und 5.X wurden massive Qualitätsmängel bei Lager und bei Rotorblättern festgestellt. Ärgerlich: Etliche Windräder waren bereits verbaut. Vorstandschef Christian Bruch bildete Milliarden-Rückstellungen. Das führte im abgelaufenen Geschäftsjahr auf Konzernebene zu einem Verlust in Höhe von 4,6 Milliarden Euro – trotz gut laufender Geschäfte in der traditionellen Energietechnik.

Indirekt gab es ein zweites Problem: Weil bei Banken angesichts der Gamesa-Probleme das Vertrauen schwand, zögerten sie, Garantien für neue Aufträge zu übernehmen. Die Bundesregierung sprang ein, sie genehmigte Bürgschaften in Höhe von 7,5 Milliarden Euro. Bedingung: Solange die Bürgschaften laufen, gibt es keine Dividende.

Der Chef von Siemens Energy, Christian Bruch, sagte den Aktionären gestern: „Ich verspreche Ihnen, wir werden die Probleme im Windgeschäft lösen.“ Die Komplettübernahme von Siemens Gamesa sei aus damaliger Sicht gut begründet gewesen, da es ohne Wind keine Energiewende gebe. Bis zum Jahr 2030 wachse der Markt für Windräder an Land jedes Jahr um sechs Prozent, auf See sei das Wachstum viermal so hoch. Bruch räumte aber ein, dass die Bilanz eine „große Enttäuschung und ein herber Rückschlag“ sei.

Aufsichtsratschef Joe Kaeser, der 2020 als Siemens-Chef für die Abspaltung von Energy verantwortlich war, räumte „hausgemachte Probleme“ bei Gamesa ein. Bruch und sein Vorstandsteam hätten aber weiterhin das „uneingeschränkte Vertrauen“ des Aufsichtsrates.

Obwohl Vertreter von Deka Investment, Union Investment und DWS Investment ankündigten, den Vorstand nicht entlasten zu wollen, stimmte die Mehrheit der Aktionäre entsprechend ihrer Anteile am Konzern gestern für die Entlastung. Daniela Bergdolt von der DSW warnte aber: „Wir werden Sie entlasten, da die Zahlen des ersten Quartals auf ein Licht am Ende des Tunnels hoffen lassen. Aber dies tun wir mit einem erhobenen Zeigefinger. Sie sind ein Vorstand auf Bewährung. Sollte sich die Situation nicht verbessern, werden wir Sie im nächsten Jahr sicher nicht entlasten.“

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