Der ehemalige Chef von Volkswagen, Martin Winterkorn, musste sich bereits in Braunschweig vor Gericht verantworten. Jetzt folgt der Strafprozess. Ihm drohen mehrere Jahre Haft. © Julian Stratenschulte, dpa
Braunschweig – Ziemlich genau neun Jahre nach Auffliegen des Dieselskandals soll am morgigen Dienstag vor dem Landgericht Braunschweig der Strafprozess gegen den früheren Volkswagen-Chef Martin Winterkorn starten. Das Gericht hat drei unterschiedliche Anklagen gebündelt, die alle im Zusammenhang mit eingebauter Schummelsoftware in Dieselmotoren stehen. Mit Spannung wird erwartet, ob Winterkorn vor der Wirtschaftsstrafkammer erscheint, nachdem zuletzt wieder Gesundheitsprobleme des 77-Jährigen bekannt geworden waren.
Winterkorn war von 2007 bis 2015 VW-Chef und trat im Zuge des Abgasskandals zurück. Das Unternehmen musste damals nach Ermittlungen von US-Behörden einräumen, in weltweit elf Millionen Fahrzeugen eine illegale Abschalteinrichtung eingebaut zu haben. So wurden die Emissionen von Stickoxiden auf dem Prüfstand gesenkt und die vorgeschriebenen Grenzwerte eingehalten. Im realen Betrieb auf der Straße war dies jedoch nicht der Fall, und die Fahrzeuge hätten nicht zugelassen werden dürfen.
Winterkorn sollte im Herbst 2021 schon einmal gemeinsam mit vier weiteren früheren Führungskräften des Konzerns vor Gericht erscheinen. Der damalige Prozess war jahrelang vorbereitet und wegen der Corona-Pandemie bereits mehrfach verschoben worden. Kurz vor Beginn wurde Winterkorns Verfahren allerdings aus gesundheitlichen Gründen abgetrennt und verschoben. Das Gericht stufte ihn damals wegen einer Operation für verhandlungsunfähig ein. Der Prozess begann ohne Winterkorn und läuft noch immer – bis Januar 2025 sind Termine anberaumt.
Vor einigen Wochen hieß es dann, Winterkorn sei erneut gesundheitlich stark angeschlagen und geschwächt, die Rede war von einem medizinischen Notfall und einer weiteren OP. Das Gericht hielt jedoch am Prozessauftakt fest, erst in dieser Woche schickte es eine gesonderte Ankündigung zu dem Verfahren.
Verantworten muss sich Winterkorn zunächst wegen des Vorwurfs des gewerbs- und bandenmäßigen Betrugs. Käuferinnen und Käufer bestimmter Fahrzeuge seien „getäuscht worden“ und sie hätten dadurch einen „Vermögensschaden erlitten“, führte das Gericht den Vorwurf aus. Es geht hierbei um neun Millionen Fahrzeuge und einen Schaden von mehreren hundert Millionen Euro. Winterkorn werde aber keine Tatbeteiligung für den gesamten Tatzeitraum vorgeworfen, der sich von 2006 bis 2015 erstrecken soll.
Zweitens geht es um den Vorwurf der uneidlichen Falschaussage vor einem Untersuchungsausschuss des Bundestags im Jahr 2017. Dort hatte Winterkorn gesagt, dass er im September 2015 erstmals von den unzulässigen Abschalteinrichtungen erfahren habe. Es steht der Vorwurf im Raum, dass dies schon früher im Jahr 2015 passiert sein könnte.
Schließlich geht es noch um den Vorwurf der Marktmanipulation. Winterkorn soll „trotz Kenntnis“ des Einbaus illegaler Abschalteinrichtungen und erwarteter finanzieller Risiken durch Schadenersatzforderungen den Kapitalmarkt „vorsätzlich nicht rechtzeitig informiert haben“. Volkswagen hatte damals erst am 22. September 2015 und damit Tage nach Auffliegen des Skandals eine Pflichtmitteilung an die Anleger, veröffentlicht.
Im Kern wird es in Braunschweig also darum gehen, wann genau Winterkorn was wusste und wie er mit diesem Wissen umgegangen ist. Das Verfahren läuft unabhängig von dem Prozess gegen die vier anderen ehemaligen Manager, wie das Gericht betont. Es würden andere Richter eingesetzt, und die zuständige Kammer werde „alle zur Entscheidungsfindung erforderlichen Beweise selbst erheben“.
Bei VW hieß es, das Verfahren werde beobachtet. „Jedoch gehen wir nicht davon aus, dass relevante neue Erkenntnisse daraus erwachsen werden“, sagte ein Sprecher und verwies darauf, dass der Konzern nicht verfahrensbeteiligt sei. VW erwarte, „dass die Gerichte bestätigen werden, dass das Unternehmen seine Publizitätspflichten ordnungsgemäß erfüllt hat“. Der Prozess könnte mehrere Jahre dauern. Bei einer Verurteilung drohen Winterkorn mehrere Jahre Haft.