So geht das Schuldenmachen

von Redaktion

Anders als private Haushalte muss der Staat seine Schulden nicht zwingend tilgen, er kann sie immer wieder verlängern. © IMAGO

Berlin – Die schwer vorstellbare Summe von 1500 Milliarden Euro könnte die neue Regierungskoalition aus Union und SPD in den kommenden zehn Jahren als neue Staatsschulden aufnehmen. Angesichts dieser Größenordnung fragen sich viele: Wachsen uns die Kosten der Kredite über den Kopf? Diese Frage geht von der Annahme aus, dass der Staat die Schulden, die er aufnimmt, auch wieder zurückzahlt. Das muss aber nicht so sein.

Beschluss

Militär- und Sicherheitsausgaben, die über ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) hinausgehen, werden von der Schuldenbremse im Grundgesetz ausgenommen. 100 Milliarden Euro neue Kredite jährlich sind deshalb nicht unrealistisch, innerhalb von zehn Jahren wären das 1000 Milliarden Euro. Hinzu kommen schuldenfinanzierte Investitionen von 500 Milliarden Euro für zivile Infrastruktur und Klimaschutz.

Tilgung

Bisher wollen Union und SPD nichts dazu sagen, ob sie in Erwägung ziehen, die neuen Schulden irgendwann abzutragen. An mehreren Stellen der Beschlüsse wird allerdings auf Gesetze verwiesen, die später noch die Details regeln. Eine Variante besteht darin, dass die bisherigen im Grundgesetz festgelegten Tilgungsregeln wegfallen. Letztlich handelt es sich um eine politische Entscheidung der neuen Koalition und der Mehrheit des neuen Bundestages. Momentan ist in den Artikeln 109 und 115 des Grundgesetzes grundsätzlich von einer notwendigen Tilgung der Schulden die Rede, die beim Bund jährlich 0,35 Prozent im Verhältnis zum BIP übersteigen. Wenn der Bund 1500 Milliarden Euro Kredite später beispielsweise über 30 Jahre zurückzahlen wollte, müsste er jedes Jahr 50 Milliarden Euro dafür aufwenden. Dieses Geld wäre aus dem Bundeshaushalt zu zahlen, zusätzlich zu den Zinsen, die die Kredite laufend kosten.

Schuldscheine

Die Finanzagentur, eine Bundesbehörde mit Sitz in Frankfurt, gibt Schuldscheine aus, zum Beispiel Bundesanleihen. Nationale und internationale Banken, Versicherungen und Unternehmen kaufen diese Anleihen und leihen dem Staat damit Geld. Dafür erhalten sie Zinsen, zurzeit zum Beispiel 2,76 Prozent pro Jahr für eine Bundesanleihe, die zehn Jahre läuft. Danach zahlt die Finanzagentur das Geld an die Investoren zurück. Das tut sie, indem sie neue Anleihen ausgibt. Dieses Verfahren nennt man „Überwälzen“, wie Ökonomie-Professor Jens Südekum erklärt: „Staatsschulden werden praktisch nie zurückgezahlt, sondern immer bloß überwälzt.“ Etwa die USA „haben seit 1813 noch nicht einen einzigen Dollar final getilgt“. Die absolute Summe der Staatsschulden in D-Mark und Euro ist auch in Deutschland seit 1950 immer gestiegen – mit Ausnahme der Jahre 2013 bis 2019.

Wachstum

Warum klappt das? Weil das Bruttoinlandsprodukt ebenfalls wächst, von relativ kurzen Phasen der Stagnation oder Schrumpfung abgesehen. Mit der zunehmenden Wirtschaftsleistung steigen auch die Steuereinnahmen des Staates, aus denen er die Zinsen für die Schulden bezahlt. Diesen Effekt kalkulieren Union und SPD bei ihren Koalitionsverhandlungen jetzt wieder ein. Im Bundestagsbeschluss heißt es, „das zusätzliche Wirtschaftswachstum“ werde „die belastenden Effekte höherer Schuldenstände mittelfristig überkompensieren“. Das ist im Übrigen der entscheidende Punkt, für den sich die Investoren interessieren, die die Staatsanleihen kaufen. Wenn sie davon ausgehen, dass der deutsche Staat die Zinsen ohne Probleme bedienen kann, geben sie ihm weiter Geld. Bisher gilt Deutschland als grundsolide.

Wie man aber spätestens seit der Finanzkrise weiß, können auch Staaten pleitegehen. Durch unvorhergesehene Ereignisse kann die Stimmung plötzlich umschlagen, so dass die Investoren sehr viel höhere Zinsen verlangen, wenn sie einem Staat Geld leihen. Dadurch können die Kosten so stark steigen, dass die weitere Verschuldung zu teuer wird. Dann droht die Zahlungsunfähigkeit. Um einer solchen Entwicklung vorzubeugen, gibt es die Schuldenbremse im Grundgesetz und die europäischen Schuldenregeln, wonach die Mitgliedstaaten sich höchstens mit 60 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts und jährlich neu nur mit drei Prozent des BIP verschulden dürfen. Diese Regeln wurden schon bislang vielfach nicht eingehalten – jetzt werden sie offiziell gelockert.

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