Schweinebauer: Darum ist Fleisch so billig

von Redaktion

VON ALEXANDRA PÖHLER

Theißing – In zwei Reihen stehen die Sauen, links und rechts vom Gang, eingepfercht im schwülen Stall. Dass sie dort so stehen, hat einen Grund: Sie warten auf Georg. In einer separaten Box grunzt der schwarz gefleckte haarige Eber vor sich hin. Er muss später im Gang hin und her traben, damit die Sauen ihn riechen können, wenn Martin Walser sie befruchtet. „Die Sauen sind aber jetzt schon rauschig“, erklärt er.

Der 64-Jährige ist Schweinezüchter und -mäster in Theißing bei Ingolstadt. Er trägt Blaumann, Mütze, Gummistiefel. Mit seiner Frau Renate hat er den Betrieb von den Schwiegereltern übernommen. Seit 2011 ist auch Sohn Matthias dabei.

Die Walsers führen ihren Hof in „Haltungsform 1“. Es ist die niedrigste zulässige Stufe in Deutschland. Stallhaltung auf Spaltenboden. Hier entsteht das Fleisch, das Özdemir im Visier hat. Auch Walser findet, dass mit dem System was nicht stimmt. Für ein Kilo Fleisch bekomme er aktuell 1,20 Euro – bei Produktionskosten von 1,40 bis 1,45 Euro. „Wir arbeiten umsonst“, klagt er, aber man könne die Mast nicht zeitweise einstellen, nur weil der Preis nicht stimmt. Gründe für den Preisverfall seien Corona, die afrikanische Schweinepest und der Tönnies-Skandal. „Überstehen können wir das nur, weil wir den Kartoffelanbau als zweites Standbein haben, die Hallen abbezahlt sind und wir als Familie zusammenhalten. Der Preis muss wieder hochgehen!“

Özdemir hatte jüngst betont, Fleisch müsse teurer werden, Landwirte sollten mehr Unterstützung erhalten und die Schweinehaltung müsse tier- und umweltgerechter werden. Alles Punkte, denen Walser für sich gesehen nicht widersprechen will. Aber die Probleme seien vielfältig, sagt er, während er sich auf den Weg in die nächste der drei Hallen seines Betriebs macht. „Politische Forderungen nach mehr Klimaschutz und Tierwohl setzen Landwirte unter Druck“, sagt Walser. „Es besteht ein Zielkonflikt zwischen Tierwohl und Klimaschutz. Ein Bespiel: Die Stallhaltung hat in Bezug auf die Freisetzung von Ammoniak in die Atmosphäre die beste Klimabilanz.“ Wenn sich die Lage für deutsche Schweinehalter nicht verbessere, würden immer mehr Betriebe die Produktion einstellen. Er wolle kein Schwarzmaler sein, sagt der 64-jährige, aber das könne auch Einfluss auf die Versorgungssicherheit haben. „Irgendwann könnte die Frage im Raum stehen, ob wir unsere Bevölkerung noch ernähren können.“ Zumindest mit Fleisch, das sich jeder leisten kann.

Walser öffnet die nächste Stalltür und geht in den Kreißsaal, wie er es nennt. Knapp vier Monate trägt eine Sau. Hunderte Ferkel tapsen auf wackeligen Beinen und nach Milch quiekend über den Spaltenboden. Dazwischen grunzen die Muttersauen. Walser hebt ein Ferkel behutsam hoch. Von einhundert geborenen Ferkeln überleben etwa 85 bis 90, erklärt er. „Wenn sie zu schwach sind, bekommen sie in den ersten Stunden zu wenig Milch.“ Auf seinem Hof gibt es immer etwa 400 neugeborene Ferkel, 800 weitere Jungtiere befinden sich in der Aufzucht. 230 Muttertiere sorgen für Nachwuchs. Mit den knapp 1500 Mastplätzen leben somit rund 3000 Schweine auf dem Hof der Familie.

„Natürlich machen so kleine Ferkel Freude. Wir mögen unsere Tiere, aber wir verhätscheln sie nicht“, sagt Walser. „Das sind Nutztiere, sie ernähren uns und halten unser Einkommen aufrecht.“ Er legt das Ferkel wieder zurück unter die rote Wärmelampe. In jeder der 20 Boxen liegt eine Sau mit ihrem Nachwuchs. Die Boxen sind rund zweieinhalb Quadratmeter groß, die Sauen liegen eingezwängt in einem Metall-Gestell, damit sie sich nicht auf die Ferkel legen können.

Für Walser ist der Betrieb alles. „Mein Ziel war immer, unseren Bauernhof als Lebensgrundlage zu erhalten.“ Für sich, seine Kinder, die Enkel. Die Kritik an der Haltungsform 1 findet Walser übertrieben. „Wenn es allen Kindern auf der Welt so gut ginge wie unseren Schweinen, dann hätten wir weniger Sorgen. Die haben ihr Futter, ihr Wasser und einen warmen Stall.“

Dennoch überlegen die Walsers, ob sie auf Haltungsform 3 umstellen sollen – Strohschwein-Haltung mit größeren Boxen und einem Außenbereich für die Tiere. „Für uns wird das eine langfristige Richtungsentscheidung, die mehrere hunderttausend Euro an Investitionen erfordert“, sagt Walser. „Wir machen das nicht, weil es einen Zuschuss gibt, sondern wenn wir das Gefühl haben, dass der Verbraucher bereit ist, den Mehraufwand an Arbeit und Kapital zu honorieren. Am einfachsten könnte er es zeigen, indem er die Bio- und Regionalregale leer räumt und die anonyme konventionelle Ware übrig bleibt – weil niemand mehr sie haben will. „ Der Ausbau käme aber nur in Frage, wenn sein Hof in das Edeka-Programm aufgenommen würde, das vorschreibt, mindestens 1,40 Euro pro Kilo zu zahlen oder 40 Cent mehr als die Notierung, den aktuellen Marktpreis. Zudem brauche er gute Angebote der Baufirmen und die nötigen Genehmigungen.

Was Walser ärgert, ist Fleisch als Lockvogel-Produkt im Supermarkt und Billig-Grillfleisch im Sommer. Dabei gebe der Handel noch nicht mal die niedrigen Einkaufspreise an den Verbraucher weiter, sagt er. Ein Problem sei auch die Dominanz der Marktriesen. Laut der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung haben die Top 10 der Schweineschlachtbetriebe 82,2 Prozent Marktanteil. Tönnies (16,3 Millionen Schlachtungen), Vion (7,6 Mio.) und Westfleisch (7,7 Mio.) decken allein 58,9 Prozent des Marktes ab – und würden die Preise dominieren, klagt Walser. Fleisch von kleinen, regionalen Höfen gehe im Einzelhandel unter.

Walser steht inzwischen in der Schweinemasthalle. Alles läuft hier automatisch. „Der Computer weiß, wie viele Tiere im Stall sind und wie alt sie sind. Eine Pumpe verteilt das Futter über die Rohre in die jeweiligen Ställe.“ Vier Wochen Säugezeit, acht Wochen Ferkelaufzucht und 16 Wochen Mast. Das ist hier der Zyklus eines Schweinelebens. „Im Supermarkt entscheidet sich, wie viel uns Fleisch wert ist“, betont Walser noch einmal. Zwischen Reden und Handeln sei die Diskrepanz groß. „Viele wollen mehr Tierwohl, mehr Platz und besseres Futter. Aber letztendlich wird doch das günstigere Produkt gekauft.“ Lebensmittel hätten in unserer Gesellschaft zu wenig Wertschätzung. „Ein dickes Auto vor der Tür macht mehr Eindruck als gute, faire Lebensmittel im Kühlschrank – die sieht nämlich keiner.“

Martin Walser ist zurück bei seinen Zuchtsauen. Mit seiner Frau Renate legt er die Besamungsbügel an. Jetzt darf Georg endlich lossausen, damit die Sauen ihn riechen. Über einen dünnen Kunststoffschlauch werden die Sauen mit seinem Sperma befruchtet. Es ist der Beginn eines neuen Fleisch-Kreislaufs.

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