Zu lang, zu kompliziert, gespickt mit medizinischen Fachausdrücken: Beipackzettel sind oft eine harte Lektüre. Doch auf welche Informationen kommt es wirklich an? Ein Experten-Interview mit Dr. Peter Sandmann, der auch mal selbst mit dem Zusammenfalten eines Beipackzettels kämpft. Sandmann führt mit seiner Frau die Dr. Sandmann Apothekengruppe in München und Umgebung mit insgesamt acht Apotheken.
-Niemand liest gern Beipackzettel. Welche Passagen sind ein Muss?
Die Rubriken Dosierung und Einnahme. Und natürlich sollte jeder Patient wissen, gegen was das jeweilige Arzneimittel konkret hilft. Ich empfehle daher grundsätzlich, stets beim Arzt und später noch mal in der Apotheke nachzufragen. So bekommt man alle wesentlichen Informationen in Kurzform. Zu erwarten, dass ein Patient den Beipackzettel komplett liest, halte ich für überzogen.
-Weil er vieles ohnehin nicht verstehen würde, wegen unzähliger medizinischer Fachausdrücke?
Die medizinische Fachsprache ist notwendig, um alle Aspekte richtig und vollständig wiederzugeben. So sichern sich die Hersteller ab, etwa gegen mögliche Schadenersatzforderungen. Immerhin: Mittlerweile sind in einigen Beipackzetteln grafisch untermalte Bereiche abgetrennt, wo die wesentlichen Informationen kürzer und verständlicher für Patienten aufgeschrieben werden.
-Das gilt ja leider nicht für alle Arzneien. Was kann man in einem 08/15-Beipackzettel getrost weglassen?
Man muss nicht immer alle Nebenwirkungen genau durchlesen. Viele Menschen entwickeln nämlich schnell sogenannte gefühlte Nebenwirkungen: Sie bilden sich zum Beispiel ein, dass es plötzlich im Magen zwickt.
-Aufgelistete Nebenwirkungen sind aber in der Tat oft Angst einflößend …
Ja, das stimmt. Sie sind jedoch auch nach der Wahrscheinlichkeit ihres Auftretens geordnet. Man darf nie vergessen: Schwerwiegende Nebenwirkungen sind wirklich äußerst rar!
-Grundsätzlich gefragt: Wie oft treten Nebenwirkungen überhaupt auf?
Manche sind sehr häufig, zum Beispiel leichte Magen-Darm-Beschwerden bei der Einnahme von Antibiotika. Deswegen stehen sie auf der Liste auch ganz oben. Meist ist dann „1 zu 10“ oder „1 zu 100“ zu lesen. Das bedeutet, dass durchschnittlich einer von zehn oder einer von hundert Patienten diese Beschwerden tatsächlich bekommt.
-Hängen Nebenwirkungen auch vom Präparat ab?
Ja, natürlich! Bei einem Krebsmedikament ist die Wahrscheinlichkeit einer Nebenwirkung deutlich höher als etwa bei einem Kopfschmerzmittel. Der Grund: Bei der Zulassung muss der Hersteller nachweisen, dass Haupt- und die Nebenwirkung im richtigen Verhältnis zueinander stehen. Das heißt, wenn ein freiverkäufliches Kopfschmerzmittel kritische Nebenwirkungen hätte, würde es keine Zulassung bekommen, weil es bereits gut verträgliche Alternativen auf dem Markt gibt. Hilft ein Medikament indes gegen eine Form von Krebs, die bisher kaum behandelt werden konnte, nimmt man es oft in Kauf, dass die Nebenwirkungen stärker ausgeprägt sind.
-Was muss ein Patient bei der Einnahme von einem Arzneimittel generell beachten?
Wenn da steht „vor dem Frühstück einnehmen“, dann machen Sie das bitte auch so. Schilddrüsen-Hormone sollte man zum Beispiel eine halbe bis dreiviertel Stunde vor der ersten Mahlzeit zu sich nehmen, da sie sonst nicht wie vorgesehen wirken.
-Was ist mit Wechselwirkungen?
Die sollte jeder Patient kennen – zumindest die wichtigsten. Grapefruitsaft ist so ein Klassiker: Der stößt ein Enzym im Körper an, das Medikamente schneller eliminiert. Tee und Saft sind auch schwierig. Daher empfehle ich immer eine Tablette nur mit einem großen Glas Wasser einzunehmen. Ob Sprudel oder nicht, ist dabei egal.
-Was passiert eigentlich, wenn ich ein Medikament länger einnehme als empfohlen?
Grundsätzlich bringt es keinen Vorteil, Medikamente länger zu nehmen. Patienten machen das hauptsächlich bei Schmerz- und leider auch bei Schlafmitteln. Das geht oft schon in den Arzneimittelmissbrauch hinein! Manchmal braucht der Körper die Mittel über einen bestimmten Zeitraum. Aber dann sollte damit wieder Schluss sein.
-Apropos Schluss: Dürfen Medikamente über das Haltbarkeitsdatum hinaus eingenommen werden?
Bei Nahrungsergänzungsmitteln und Vitaminpräparaten ist das nicht so bedenklich; einfach im konkreten Fall in der Apotheke nachfragen. Bei Medikamenten empfehle ich das allerdings nicht. Der Gesetzgeber gibt zwar eine Spanne vor, was das Medikament nach dem Ablauf noch enthalten muss – das sind mindestens 90 Prozent des deklarierten Gehaltes. Aber: Der Verbraucher kann nicht einschätzen, was mit den anderen zehn Prozent passiert.
-Was kann denn zum Beispiel passieren?
Die können sich umwandeln. Ein Beispiel: Viele kaufen Aspirin-Tabletten im Ausland in der 500-Stück-Packung. Dreht man diese nach einem halben Jahr auf, riechen die Tabletten stark nach Essig. Dann hat sich die Acetylsalicylsäure in Salicyl- und in Essigsäure zerlegt. Das Problem: Die Salicylsäure hat eine wesentlich stärkere Magen schädigende Wirkung als die Acetylsalicylsäure. Daher bitte stets aufpassen.
Das Gespräch führte Angelika Mayr.